Statement
Kulturland retten?

Steirische Kulturpolitik im Spannungsfeld zwischen Autonomie, Markt und Verantwortung

2025

Im Zuge unserer Auseinandersetzung mit der Kulturland retten!-Kampagne und ihren Forderungen haben wir eine kritische Beleuchtung aktueller Kulturpolitik und Subventionspraxis entwickelt. Ausgangspunkt ist die Frage, ob Kulturpolitik der Kunst überhaupt jemals gerecht werden kann. Denn: Wo Kulturpolitik nach wirtschaftlichen, touristischen oder verwaltungstechnischen Logiken funktioniert, wird sie die Kunst notwendigerweise verfehlen. Jeder Versuch, Kunst auf Begriffe wie Innovation, Entwicklung oder Standortfaktor festzunageln, führt zu einem Missverständnis. Kunst ist keine Maschine, die Outputs liefert. Sie ist – und muss es auch sein – zweckfrei.

1. Was kann Kulturpolitik?

Eigentlich nicht viel. Sie kann Räume öffnen, Gelder verteilen, Strukturen bereitstellen. Sobald sie aber versucht, die Kunst an Zielvorgaben zu messen, wird daraus ein fauler Kompromiss. Die Erfahrung zeigt: Subventionssysteme sichern häufig den Fortbestand der Verwaltung, nicht die Existenz der Künstler*innen – und damit auch nicht die der Kunst. Abhängigkeit von kurzfristigen Förderungen, parteipolitischen Interessen und den Trends eines Kunst- und Kulturmarktes schaffen Unsicherheit, Prekarität und einen Wettbewerb, in dem nicht die Kunst zählt, sondern die Anpassung an Fördermechanismen und Förderrhetorik.

Wir dürfen uns nichts vormachen: Auch die besten Förderinstrumente bleiben Kompromisse. Es gibt allerdings Unterschiede – Kompromisse, die die Zweckfreiheit respektieren, und solche, die sie zerstören. Darum unterstützen wir die Forderungen von Kulturland retten! – aber wir sagen auch: Das reicht nicht! Die Debatte muss tiefer gehen. Wir brauchen nicht nur mehr Geld und transparentere Verfahren, sondern eine radikale Verteidigung des Rechts auf Autonomie.

2. Recht auf Zweckfreiheit

Künstlerische Autonomie unterscheidet Kunst von Dienstleistung und Unterhaltung. Dieses Recht auf Zweckfreiheit ist kein Luxus, sondern die Voraussetzung, damit Kunst überhaupt gesellschaftlich wirksam sein kann. Wer Kunst auf ökonomischen Nutzen oder populistischen Appeal reduziert, macht sie zur Karikatur ihrer selbst.

Die Kulturagenda 2030 enthielt in Ansätzen ein Bewusstsein für diese Notwendigkeit. Doch sie wurde in der Steiermark beiseite gelegt und durch eine eindimensionale Standortrhetorik ersetzt. Statt Räume für autonome Kunst zu sichern, wird Kunst zunehmend als Mittel zur Wirtschaftsförderung missverstanden. Doch weder Tourismus noch Technologieexport entstehen im Atelier. Kunst darf nicht dafür bestraft werden, dass sie nicht berechenbar, nicht marktkonform, nicht verwertbar ist – genau darin liegt ihre Kraft.

3. Was soll Kulturpolitik?

Wenn Kulturpolitik überhaupt eine Funktion hat, dann diese: die Zweckfreiheit der Kunst zu schützen. Sie soll Bedingungen schaffen, die Künstler*innen ein Überleben ermöglichen – faire Bezahlung, soziale Absicherung, Planungssicherheit. Aber sie soll sich hüten, Kunst mit Erwartungen zu überfrachten. Kunst ist nicht dafür da, Standortpolitik zu betreiben, und nicht dafür, die Verwaltung zu legitimieren.

Jüngste Beispiele aus der Steiermark zeigen das Gegenteil: Kürzungen bei kleinen Initiativen, während prestigeträchtige Projekte weiterhin bevorzugt werden. Vielfalt und Unabhängigkeit bleiben dabei auf der Strecke. Wer Kunst politisch oder ökonomisch diszipliniert, nimmt ihr die Luft zum Atmen.

4. Was darf Kulturpolitik?

Kulturpolitik darf Verantwortung übernehmen: für faire Mindeststandards, für Transparenz, gegen strukturelle Ungleichheiten. Sie darf soziale Sicherheit schaffen, damit künstlerisches Arbeiten nicht an Armut oder Unsicherheit zerbricht. Sie darf Räume öffnen, in denen Vielfalt gedeiht, und Bedingungen schaffen, unter denen Kunst existieren kann, ohne sich an Markt- oder Machtinteressen verkaufen zu müssen.

Unterwirft sie sich allerdings selbst den momentan vorherrschenden Marktlogiken, wird die Kunst zum „Kunstprodukt“ und Künstler*innen zu „künstlichen Personen“ – verwaltbar, aber nicht mehr autonom. Genau hier endet ihr Mandat: Kulturpolitik darf Kunst nicht inhaltlich steuern, nicht in Marktlogiken pressen, nicht auf Verwertbarkeit reduzieren. Ihre einzige Legitimation liegt darin, Freiheit zu ermöglichen – nicht sie zu beschneiden. Kunst ist nicht dazu da, zu funktionieren. Sie hat das Recht zu verstören, zu verweigern, zu scheitern. Wo Kulturpolitik diesen Raum nicht gewährt, verteidigt sie nicht die Freiheit der Kunst, sondern erstickt sie in der sich selbstständig verdichtenden Bürokratie.

Bild: Sandra Ziagos