Amores – Flucht mit schlechten Schuhen

Zita Oberwalder – Fotografie

RHIZOM in der KEPLERKOJE
Wickenburggasse 40/Parterre, 8010 Graz

Tomis/Constanta – Berlin – Dublin – New Orleans – Sulmona – Bukarest – Camerota – Graz – Hongkong –
Madrid – Prag – Schlaiten

Der Mann der hier steht, ist die Frau die dort geht, ist das Tuch das da weht…
Annäherung an die flüchtigen Bilder von Zita Oberwalder

In der Bewegung des Reisens zwischen den Orten (von Tomis bis Schlaiten) – entlang eigener Fluchtlinien und der anderer, sammelt Zita Oberwalder einiges, das sie wie ihre Kamera immer nah bei sich trägt: Stimmen aus einer Menschenmenge gefiltert, verwehte Gerüche, aus einem Buch gelöste Textfragmente, Geräusche, ein Musikstück, Erinnerungen. Am anderen Ort lässt sie den Blick schweifen – von den Rändern kommend, verschafft sie sich Zugang zum Wesen der gefundenen Dinge. Das Gesehene fällt zurück in den eigenen Körper, um, wo immer sich das Licht als Verbündeter mit dem Flüchtigen trifft, das Bild auszulösen – die Verwandlung. Um diese zu erkennen, braucht es immer den zweiten Blick und ein Gefühl für das, was sich schon außerhalb des Bildrandes befindet.

Omnia mutantur, nihil interit.
(Alles wandelt sich, nichts geht unter.)
Ovid

Dauer: 19.01. bis 31.01.2013
täglich von 16 – 19 Uhr

siehe auch:

http://www.gat.st/news/amores-flucht-mit-schlechten-schuhen

Zita Oberwalder
geboren Leisach Osttirol.
lebt und arbeitet in Graz und unterwegs
Ausbildung zur Fotografin / Meisterprüfung
ab 1987 Arbeit als freischaffende Künstlerin und erste Ausstellungen im In- und Ausland (Mitglied der Tiroler Künstlerschaft)
Hinwendung zur Architekturfotografie (Mitglied der IG Architekturfotografie)
2012 Auslandsstipendium der Stadt Graz für Bildende Kunst
2008 Stipendium / Künstlerhaus Paliano bei Rom
2011 Katalog: details
2004 Katalog: aus dem raum – fuori dallo spazio

Fotografie als Fluchtweg
Zur kontrafaktischen Fotografie von Zita Oberwalder
Text Ulrich Tragatschnig

Üblicherweise zielen Fotos darauf ab, etwas Konkretes denkbar präzise in sich aufzunehmen. Fotografen nehmen ins Visier, drücken ab und halten also fest. Niemand, der eine Kamera auf konventionelle Weise benutzt, kommt diesem fotografischen Prinzip aus, weil es dem Fotoapparat selbst zugrunde liegt. „Der Fotoapparat ist programmiert, Fotografien zu erzeugen, und jede Fotografie ist eine Verwirklichung einer im Programm des Apparates enthaltenen Möglichkeiten“, meint Vilém Flusser*. Objekt und Bild gehören in der Fotografie unweigerlich und unmittelbar zusammen, unterhalten eine ganz existentielle Beziehung zueinander, meinen jene, für die die Fotografie ein indexikalisches Zeichen ist. Das Bild wird zum Modell der Wirklichkeit, meint André Bazin**. Höher lassen sich Objektivitätsansprüche nicht mehr schrauben. Realismus und fotografische Mechanik bedingen einander wechselweise.
Als die Fotografie endlich anerkannte Kunst sein wollte, hat sie sich deshalb darauf konzentriert, dieses fotografische Prinzip zu unterminieren, hat zum Beispiel damit begonnen, gewollte Unschärfen zu produzieren, hat dreiste Perspektiven inszeniert oder sich nur auf die eigene Oberfläche konzentriert. Das Programm des Apparats war damit freilich längst nicht umgeschrieben, das fotografische Prinzip mehr hinterrücks bestätigt als tatsächlich unterlaufen.

Zita Oberwalder verwendet keine besonders präparierten, quasi umprogrammierten Apparate. Sie fügt dem Fotografieren nichts hinzu, noch spart sie etwas davon aus. Technisch ist ihre Fotografie ganz bei sich selbst bzw. dort, wo sie vor der digitalen Wende war: unplugged. Dementsprechend verhalten sich auch ihre Fotografien fürs Erste genau so, wie sich Fotografien eben verhalten. Sie haben Fokus, Perspektive, Grenzen. Oberwalder hat nicht vor, die endlich vielen Möglichkeiten ihrer Fotoapparate bis ins Letzte auszuschöpfen, bis zum letzten gerade noch nicht redundanten Bild zu kommen.
Sie stört das fotografische Prinzip viel grundlegender, weil sie seine Maxime überdenkt. Das zeigt sich in der Beziehung ihrer Fotos zu den darauf abgebildeten Dingen und Geschehnissen. Oberwalder fotografiert die Dinge nicht, um sie damit festzuhalten, still zu stellen. Eigentlich zielt sie an den Dingen und Ereignissen vorbei, fokussiert auf das nebenher Laufende, die Ränder des gemeinhin Bildwürdigen. Ihre Bilder stehen deshalb unter dem Druck, des von außen in sie Drängenden. Als persönliche Erinnerungsbilder erreichen ihre Fotografien mnemotechnische Qualitäten, die über rein didaktische Zusammenhänge weit hinausgehen, folgen einer Logik, die sich nicht rechtfertigen muss, sondern schlichtweg funktioniert. Die Bühnen, die sie damit der Fantasie des Bildbetrachters baut, sind prekäre Orte im Dazwischen. Ihre Bilder führen keine stolze Rede, sondern breiten ein Gemurmel aus, das Spuren unterschiedlicher Geschichten in sich trägt. Oberwalders Bilder „tragen einander in sich“. Einmal aufgenommen sind sie Teil eines persönlichen Archivs und sind als solche frei, aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen auszubrechen, assoziativ rekombinierbar. Auch wenn sie Architekturen in den Blick nimmt, ist ihr Metier nie das architektonisch Festgefügte. Vielmehr das Fluide, Kontingente.

Die Erfinder der Fotografie hatten etwas gänzlich anderes im Sinn. Im biblischen Überschwang pries Jules Janin die Daguerreotypie als Medium, das „alle diese Dinge, groß oder klein, die vor der Sonne gleich sind“ auch gleich gut, „mit einer Wahrheit ohne Vergleich“ abbildet, reproduziert und damit zum „Gedächtnis aller Denkmäler, aller Landstriche des Universums“ werden kann.*** Und Henry Fox Talbot, dem es in seinem Pencil of Nature darum zu tun war, die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten des von ihm entwickelten Negativ-Verfahrens aufzuzeigen, lobt dessen Schärfe, Detailgenauigkeit, Unparteilichkeit, sieht sein Hauptanwendungsgebiet gleichfalls im reproduzierenden Konservieren des Tatsächlichen.
Bis heute hat sich an dieser Programmatik nichts verändert. Die technische Entwicklung der Fotografie ging vielmehr dahin, die ab ovo angepeilten Zielvorstellungen endlich umzusetzen. Inzwischen sind wir wirklich dort, wo Janin die Fotografie schon immer sah: „in der Hand Aller“. Die gängige Kompaktkamera kann gar nicht anders, als auf die Dinge scharf zu stellen, den üblichen Vorstellungen unkomplizierter Realitätstreue bestmöglich gerecht zu werden. Und ist auch klein genug, um überallhin mitgenommen zu werden, alles Erlebte dokumentieren zu können.****

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Zita Oberwalders Fotografien sind Fluchtwege aus der fotografischen Eindeutigkeit. Nicht weil sie in pikturalistischer Unschärfe schwelgen, sich in akrobatischen Perspektiven üben oder sich gar selbstreferentiell verweigern, sondern weil das, was sie zeigen, nicht Endpunkt oder Zielscheibe, sondern Ausgangspunkt und Wegweiser ist. Sie verweigern sich dem vorgefassten Zweck und bieten doch ein ganzes Spektrum inhaltlicher Möglichkeiten. Fluchtwege erschöpfen sich darin, aus einer Situation heraus, von einem bestimmten Ort weg zu führen. Wohin genau sie einen dabei bringen, ist freilich nur fürs Erste unerheblich.

* Vilém Flusser, Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen 91999 (Edition Flusser, hrsg. v. Andreas Müller-Pohle, Bd. III), S. 24.
** André Bazin, Ontologie des fotografischen Bildes (1945), in: ders., Was ist Kino?, Kön 1975, S. 21–27.
*** Jules Janin, Der Daguerreotyp (1839), in: Wolfgang Kemp (Hg.), Theorie der Fotografie, Bd. 1: 1839–1912. Eine Anthologie, München 1999, S. 46–51.
**** Henry Fox Talbot, Der Stift der Natur (1844), in: Wolfgang Kemp (Hg.), Theorie der Fotografie, Bd. 1: 1839–1912. Eine Anthologie, München 1999, S. 60–63.

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Fotografie als Fluchtweg
Zur kontrafaktischen Fotografie von Zita Oberwalder
Text Ulrich Tragatschnig

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