Purgatorium RHIZ* –
ein Commons(Gemeingut)-Projekt

Über polyperspektivische Wahrnehmung, 1:10 Modelle von Träumen und Übersetzungsmodule im Real-Raum Stadt

2020 – open end

I.
Rhizom baut an einem Stadt-Körper: als Gedankengebäude, als Kreationsort positiver Traumata, als Refugium erhöhter Aufmerksamkeiten, als Schutzraum… mit der Vorstellung selbstverwalteter Wohn-, Arbeits- und Lebensräume im künstlerischen Kontext. Vereint in einem rhizomatischen Bau.

2020 werden Faltoperationen an Hand eines Modelles (1:10) in einem 3 Monate dauernden Prozess durchgeführt, Ideen durch Wände, Membranen und Grenzen gespielt, der Möglichkeitenraum an allen Ecken und Enden gedehnt. Das Modell wird im RHIZOM, Annenstraße 52, gebaut. Während des Projektzeitraumes wird intensiver Wissenstransfer stattfinden, der alle Aspekte, Perspektiven und Implikationen in einem offenen und öffentlichen Diskurs beleuchtet. Impliziert sind soziale, gesellschaftliche, raumpolitische und künstlerische Überlegungen, alternative Finanzierungs- und Organisationsmodelle wie Bausyndikat (D), HabiTAT (A), u.v.m.

Ziel ist ein 2-3 geschossiges Gebäude, das als gemeinschaftliches Wohnprojekt, als „Pension“ mit Privatzimmern und öffentlich zugänglichen Räumen dient. Eine gemischte Nutzungsform, die Durchlässigkeit und Intimität an einem Ort vereint. Wie viel individueller Rückzugsraum und wie viel gemeinschaftlich wie öffentlicher Raum sind notwendig?

Ausgehend von den eigenen aktuellen Lebens-, Arbeits- und Wohnsituationen richtet sich das Projekt an allein lebende ältere Menschen (~60+) aus dem sozialen wie künstlerischen Umfeld und allein erziehende Frauen mit Kindern. Die 31-jährige Rhizom-Geschichte dient als korrespondierendes Geflecht, wo an- und weitergeknüpft werden kann.

(…) Vielleicht ist es eines der wichtigsten Merkmale des Rhizoms, viele Eingänge zu haben (…) aus „Rhizom”, Gilles Deleuze u. Félix Guattari

(…) ein Bau ist in all seinen Funktionen rhizomorph: als Wohnung, Vorratslager, Rangiergelände, Versteck und Ruine. (…) aus „Rhizom”, Gilles Deleuze u. Félix Guattari

Wem gehört die Stadt?

(…) Wir tummeln uns im Dickicht der Stadt unter Baulöwen und Immobilienhaien, unter Häuslebauern und Wohnungseigentümer*innen, unter Wohnungsbaugesellschaften und Kapitalanlageunternehmen. Im Kampf gegen Verdrängung konkurrieren wir mit ihnen um die eine oder andere Immobilie und spielen Monopoly im Maßstab 1:1. Wir basteln mit Eifer am wachsenden Projekteverbund des Mietshäuser Syndikats. Mit neuen Projekten werden weitere Immobilien dem Markt entzogen und können als Gemeingüter („Commons“) dauerhaft gesichert werden.

> Mietshäuser Syndikat

https://www.syndikat.org/de/perspektiven/
Ein Mensch ist empfindlich, wie jeder andere auch.
(Herbert Achternbusch)

Bildet Rhizome! – Mikrogesellschaften in denen sich Ethik, Kultur und Politik verschränken und durchdringen, immer aufgerufen sich zu verwandeln.

Wir gehen davon aus, dass wir (beinahe) nichts wissen. Wir haben leichten Zugang zu unserem eigenen Wahnsinn, der unser Werkzeug ist, um in Vorstellung und Gestalt eine bewohnbare Realität zu bauen. Wir bilden uns ein, dass unsere Verrückungen – unsere Abweichungen von der Norm etwas Normales an sich haben, nehmen wir doch ähnliches um uns herum wahr, wenn auch in anderer Art. Wir bilden uns nicht ein, zu wissen, wo die Kunst aufhört und eine Krankheit anfängt (oder attestiert wird). Aber da wir nun mal da sind, wollen wir unsere Einzigartigkeit und Vielheit der Stadt nicht vorenthalten. Sie hat uns und alle anderen genauso wie wir/sie sind, verdient. Man kann sich das so vorstellen, dass alles was gerade, in diesem Moment durch die einzelnen Köpfe geht, simultan visualisiert, als bewegte Bilder auf eine riesige Wolke, die über der Stadt schwebt, projeziert wird. Und nicht nur die Bilder sind in Bewegung, auch die Wolke und der Projektor sind es. Damit nichts, was im Schatten steht, verborgen bleibt… (RHIZOM, Stadtpsychogramme 2020)

II.
Purgatorium RHIZ* – ein Commons(Gemeingut)-Projekt
Vom polyperspektivischen Modell zum selbstverwalteten Lebens- /Arbeits-/Wohnraum

Ein 1:10 Modell in den Rhizom-Raum Annenstraße 52 gebaut. Ein Wissenstransferraum.
Ziel: Ein Haus mit 8 Wohnungen, 5 Privatzimmern, Foyer/ Rezeption/ Bar, Gemeinschaftsküche mit Kühlraum, Frühstücks-/Essraum, Gemeinschaftsatelier/Selfrepair-Werkstatt, multifunktionaler Raum (Ausstellungs- und Veranstaltungsraum u.ä.), Waschküche, Büro und Lagerräumlichkeiten, Fahrradabstellplatz, ein Parkplatz für carsharing, ein Besucher*innenparkplatz, ein Kleingarten oder Dachterasse

Ein Gebäude am Rande des Zentrums mit guter Verkehrsanbindung und Infrastruktur

Überlegungen zu Wohnfläche und Nutzung:
Gesamtfläche: ca 700 m2, 400 m2 grüner Umraum
Wohnprojekt:
4 Wohnungen für ältere Menschen à ca. 35 m2
4 Wohnungen à ca. 55-65 m2 für alleinerziehende Frauen mit Kindern
„Pension“/Privatzimmer:
3 EZ ca. 20 m2, WC, Waschbecken mit Gemeinschaftsdusche;
2 Doppelzimmer ca. 35m2 mit WC, Dusche

Szenario: Die Stadt Graz bietet der gemeinnützigen GmbH/Genossenschaft ein Gebäude günstig zum Kauf an. Über Direktkredite*, Fundraising und Bankkredit wird das Gebäude erworben. In dem vorgestellten Modell bleibt es unveräußerliches Gemeingut im Besitz der GmbH/Genossenschaft/Verein als Gesellschafter, als sich gegenseitig kontrollierende -Organe.

* Getreu dem Motto „lieber 1000 Freund_innen im Rücken als eine Bank im Nacken“ leihen sympathisierende Privatpersonen oder Gruppen den Haus-GmbHs direkt Geld, ohne den Umweg über eine Bank, und wissen damit auch, wofür es eingesetzt wird. Diese Art der solidarischen Finanzierung nennt sich daher auch Direktkredit. Das spart nicht nur Kapitalkosten und hält die Mieten auf einem erträglichen Niveau – eine Bank will schließlich nicht nur ihre Kosten, sondern auch ihre Gewinnspanne bezahlt haben – sondern schließt auch die Finanzierungslücke, da dieses direkt geliehene Geld von einigen Banken als Eigenkapitalersatz akzeptiert wird. Außerdem ermöglicht es auch Menschen außerhalb des Syndikats, die die Idee gut finden, Hausprojekte solidarisch zu unterstützen: Viele, die es sich leisten können, verlangen nur niedrige Zinsen oder verzichten sogar ganz auf eine Rendite. Die Rückzahlung erfolgt nicht nur durch die Einnahmen aus der Miete, sondern meistens ebenfalls durch das Annehmen neuer Direktkredite. Durch diese Art der Umschuldung können die Tilgungskosten und damit auch die Miete niedrig gehalten werden.
https://www.syndikat.org/finanzierung/

Kunst am Bau – Kunst im Bau: bewohnbare Kunsträume, die alle Aspekte des Wohnens und des Gastseins berühren, und umfassende künstlerische Interventionen in den unterschiedlichsten Medien beinhalten sollen

Vorstellungsräume:
das walsche kammerle*_Gästezimmer
chambre ardente_eine glühende Kammer**
Montalbán(o)_die Küche zugleich Essraum zugleich Ort der Poesie
Die letzte Lockerung***_eine erhabene Fläche zum Probeliegen (einmal kurz tot sein)
Shakin ground_die Musik-Bar als zentrales Antidepressivum und akustische Heilquelle
Cracks & others_ein Kabinett der Fugen, Risse und Winkel (Der vita activa***** – dem Verständnis zu den drei Grundtätigkeiten Arbeiten, Herstellen und Handeln, Raum geben
Lab de cosas (hacking life)_das Reperaturzimmer zu den Unwägbarkeiten des Lebens
Philip K. Dick´s room_Teletransportraum (was können wir wissen?)
Ideen_eine Post-Installation zum Ein- und Ausgang von Ideen****
Mansarde der Gelassenheit der Irrtümer und des Wissens_ ein Gelass, ein Kabinett
des Nachdenkens und des Wühlens
Fenstergucker*in_eine Installation am Fenster zum Fernsehen in den öffentlichen Raum
Shining_ein Gang der ungenutzten Möglichkeiten und körperlichen Ertüchtigungen
Osmotische Nischen_ein Vorratslabyrinth (Konservierungen, Einzuckerungen und Suren)
Das Afladsch_ein Gärtchen der Gemarkungen und Verschiebungen

Geben & Nehmen

• Ein Modell und Impuls für andere gemeinschaftliche Wohnbauinitiativen in der Stadt
• Ein Gebäude der Stadt Graz wird Gemeingut
• Selbstverwalteter Wohn-, Arbeits- und Lebensraum für 20 Menschen
• Ein ungewöhnliches Gästehaus
• Eine soziale und kulturelle Schnittstelle im Bezirk und von Stadt zu Land
• Ein Handbuch des gesammelten Wissens zur öffentlich zugänglichen Nutzung

„Durch die Übertragung des Werteigentums an eine juristische Person und der Nutzungsrechte an die Hausgemeinschaft, wird das Werteigentum abgespalten und aufgelöst. Die Rechtsform des habiTAT soll sicherstellen, dass das Werteigentum nicht mehr aus dieser Struktur gelöst werden kann und damit dem Immobilienmarkt langfristig entzogen bleibt. Ziel ist es also, Immobilien und deren Nutzung und Pflege zu vergemeinschaften und gleichzeitig Spekulation und persönliche Bereicherung ausschließen.“
Zitat habiTAT Dachverband Österreich

„Das Eigentum an unserem Haus liegt bei der Willy-Fred GmbH. Die beiden Gesellschafter sind der Hausverein Willy*Fred mit 51% und der Dachverband habiTAT mit 49%. Die Bewohner*innen sind im Hausverein organisiert und entscheiden autonom über alle Belange der Hausverwaltung und des täglichen Zusammenlebens. Das habiTAT als zweiter Gesellschafter hat ein Vetorecht gegen den Verkauf des Hauses und stellt sicher, dass keine Gewinne entnommen werden und mit der Immobilie nicht spekuliert wird.“
Zitat Willy*Fred, Linz

* …ein freies Zimmer
** Gwenaëlle Aubry
*** Walter Serner
**** Inspiriert von Ernst
Caramelle´s Ladenschild, 1988
***** Hannah Arendt

III:
Anknüpfung 1: Kunst und 31-Jahre RHIZOM kollektiv-Praktik
Transdisziplinäre Verschränkungen und Kooperationen von Kunst, Kultur, Politik und Gesellschaft
siehe RHIZOM Geschichte

Anknüpfung 2: Selbstverwaltete Wohnprojekte/ Organisationsstrukturen/ Finanzierungsmodelle:
Mietshäuser Syndikat Deutschland
HabiTAT Dachverband Österreich und Wohnprojekt Willy*Fred in Linz
SchloR, Wien. Im Entstehen begriffenes Projekt in Wien/Simmering
Die WoGen*, Wien

Anknüpfung 3: Recycling/Bauökologie
Baukarussell-Social Urban Mining**, Wien
Ökologische Tischlerei Puhr, Kooperative, Gleisdorf
Kooperation seit 2000

Anknüpfung 4: Solidarische Landwirtschaft, Nahrungsmittelversorgung, Verbindung Stadt-Land
Solawi-Hofkollektiv Wieserhoisl, Deutschlandsberg
RHIZOM war hier in Graz 2015 die Verteilerstelle für das Gemüse vom Wieserhoisl-Kollektiv, einer solidarischen Landwirtschaftskooperative. Die Kooperation soll auf unterschiedlichen Ebenen als Stadt-Land Verknüpfung fortgeführt werden.
earthworks_ Pairidaeza, Eggersdorf bei Graz
Seit etlichen Jahren versuchen Monika Kummer-Pretterhofer und Manfred Kummer ein landwirtschaftliches Grundstück in der Gemeinde Eggersdorf bei Graz wahr zu nehmen, zu kneten, zu kultivieren (auch Teile zu dekultivieren) Es entstehen laufend neue Interpretations-, -Nutzungs- und künstlerische Interventionsimpulse; Kooperation seit 2015

„Das Rhizom selbst kann die verschiedensten Formen an¬nehmen, von der Verästelung und Ausbrei¬tung nach allen Richtungen an der Ober¬fläche bis zur Verdichtung in Knollen und Knötchen.
Im Rhizom gibt es das Beste und das Schlimmste: die Kartoffel, die Quecke, das Unkraut.“
(Gilles Deleuze & Felix Guattari)

(…) In der Kunst zu bleiben, bedeutet auch, aus ihr herauszugehen. Doch aus der Kunst herauszugehen, heißt nicht einfach: etwas anderes machen. Es bedeutet: Hinausgehen und dennoch drinnen bleiben (…). Mit den Mitteln der Kunst über das Terrain der Kunst hinausgehen. (frei nach G. Deleuze)

Das Individuum wird nicht zu einem solchen durch seinen Widerstand gegen die Gemeinschaft oder das Kollektiv, sondern durch sein Vermögen, zu dieser eine Energie beizusteuern, die unmittelbar die Gesamtheit strukturiert und ihr Dauerhaftigkeit verleiht.
(Michel Onfray: Den Schnee entziffern.)

Sujet: Jaime de Angulo,
From Coyote Man and old Doctor Loon