Verlasst die Stadt!
Evaluierung der Förderverträge der Stadt Graz
2008
Total Recall & Erkenntnisgewinn
Kultur braucht Kontrolle!
Was ist das eigentlich für ein Evaluierungsprocedere, das „kein Rechtsverfahren“ ist, bei dem es keine
Parteienstellung – keine Möglichkeit zur Beeinspruchung gibt? Bei dem es eine Aburteilung in 30 Schlagworten gibt! Wo eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, die Entscheidung über die Verteilung öffentlicher Mittel an eine externe Firma delegiert, die in einem völlig intransparenten, in keinem Entscheidungszug nachvollziehbaren Akt, verbindliche Empfehlungen aussprechen darf. Und der Auftraggeber – die Stadt Graz – hinter die Firma zurücktritt und die Entscheidung mit dem Profil der Förderung der Stadt Graz*8 legitimiert?
Unsere Vorschläge und Kritik beziehen sich auf die seit dem Kulturhauptstadtjahr 2003 (Graz darf Alles!) vorherrschende
Kultur und Struktur innerhalb des kulturpolitischen Apparates und der Kulturverwaltung. Sie sind systemisch gemeint, d.h.
einzelne angesprochene Personen werden lediglich als wechselnden Proponenten dieser Entwicklung verstanden.
Evaluierung der mittelfristigen Förderverträge der Kulturhauptstadt Graz
1. Was bedeutet die mittelfristige Förderung?
a. Infrastruktur längerfristig absicherbar durch mehrjährige Mietverträge
im Gegensatz zu Projekt- und Jahresförderung: nur Mietverträge für 8-12 Monate möglich, da in der Regel
die Subventionsgelder erst Anfang Mai angewiesen werden und am Jahresende offen ist, ob es wieder
Geld geben wird. (d.h. innerhalb eines Jahres: Anmietung, Adaption, Investition dann gegebenenfalls wieder Auszug)
b. längerfristig planen und kontinuierlich arbeiten zu können
c. Sicherung von Beschäftigungsverhältnissen
d. Aufbau von sozialen Beziehungen im Sinne von Stadtteilarbeit (=Kunst in der Gesellschaft),
Gestaltung des sozialen Raumes Projekt- oder Jahresförderung zwingt zu Prekarien, die nur Notlösungen sein können.
2. Die Kultur der Evaluatoren und der verantwortlichen Politik
Kein institutioneller o.ä. Rahmen. Keine permanente Struktur und Aktivität. Publikum: Keine Angaben.
Publikationen: Keine Angaben. Keine öffentlich wirksame Struktur, da private Künstlervereinigung.
Abnehmende Förderungen. Unklare Positionierung. Lokale Relevanz. Abnehmende Relevanz.*1
So und ähnlich lauten die Urteile der Evaluierungskomission im Evaluierungsbogen. Sie geben Aufschluss
über die Haltung der Behörde gegenüber Kulturschaffenden in Graz und den Umgang mit deren
künstlerischer Arbeit. Seriös begründete inhaltliche Kritik?
TIK ist ein gutes Beispiel, dass durch Reduktion eine positive Entwicklung entstanden ist. Kulturstadtrat
Dr. Riedler *2 Strafpädagogische Sanktionen dienen als Maßnahme zur Maßregelung und Aktivierungstool.
Schwarze Pädagogik?
Evaluierung fördert künstlerische Leistung!
Genau im Segment der freien Szene, wo eine unzählbare Anzahl an Stunden unbezahlter Kulturarbeit im
Sinne einer Kulturentwicklung für die Stadt gemacht wird. Genau dort wird evaluiert, genau dort werden
künstlerische Leistungen in Frage gestellt und betriebswirtschaftliche Leistungskriterien eingeführt.
Mit Misstrauenskultur zur Verwaltungskunst?
3. Die Rolle der Fachbeiräte als entscheidende Gremien in der Fremdbewertung eines/er
Förderbewerbers/in und Fragen zur Entscheidungsfindung im Evaluierungsprocedere.
Wir bitten die Einrichtungen sich selbst mit Punkten zu bewerten, und dann eine Gesamtheit von
FachbeirätInnen, diese Selbstbewertung von außen zu beurteilen. Evaluierungsbeauftragter der Stadt
Graz, Dr. Rüdiger Wischenbart *3
Emfehlungen werden ernst genommen! Kulturstadtrat Dr. Wolfgang Riedler *4
Da kann es natürlich vorkommen, dass eine Gruppierung wie Rhizom sagt: Wir schätzen uns anders
ein als diese Außenbetrachtung. Das ist legitim, dass man sich selber anders betrachtet. Evaluierungsbeauftragter
der Stadt Graz, Dr. Rüdiger Wischenbart *5
Im dem von der Behörde an uns ausgehändigten Evaluierungsbogen hat sich die Fremdbewertung des
Fachbeirates Medienkunst von 118 auf 27 reduziert. Wer hat die Zahlen nach unten korrigiert? Wer hat
letztendlich entschieden?
Hat nach der Bewertung durch den Fachbeirat Medienkunst die „Gesamtheit aller Fachbeiräte“ nach
Durchsicht aller relevanten Unterlagen in besagter Sitzung eine Evaluierung durchgeführt und dies für
alle 61 FörderwerberInnen?
Es ergibt sich also eine Übereinstimmung in der Punktesumme hinsichtlich Eigen- und Fremdevaluierung,
was lt. Dr. Wischenbart zum für die Institution bestmöglichen Ergebnis führt. Dr. Martina Chmelarz-
Moswitzer (Fachbeirat Medienkünstlerische Praxis) über ihre Bewertung (118) im Hinblick auf die
Selbstbewertung von Rhizom (ebenfalls 118) *6
Dr. Reinhard Braun (Fachbeirat Medienkunst) im Kontext zum Kommentar Dr. Chmelarz-Moswitzer:
Insofern ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass es eine kritische Bewertung von Rhizom gegeben
haben soll, es sei denn, dass Fachbeiräte anderer Sparten ebenfalls mit einer Evaluierung beauftragt
wurden bzw. Kommentare in der Sitzung vom 10.9. abgegeben haben, die letztendlich in die Gesamtwertung
miteinflossen, oder sonst eine nicht nachvollziehbare Bewertung stattfand, damit wird allerdings
das System der Fachbeiräte ad absurdum geführt; außerdem wäre es meiner Meinung nach angebracht
gewesen, um für die Förderwerber nachvollziehbar zu machen, wer letztendlich wie evaluiert hat, dies im
Schreiben anzugeben; *7
Zuerst einmal: es geht um eine freiwillige Leistung der Stadt Graz, wie auch bei den anderen Subventionsgebern,
eine freiwillige Leistung ist das. Die Stadt kann nicht gezwungen werden, nicht genötigt werden,
und es ist auch kein Rechtsverfahren, und es ist auch schließlich eine politische Entscheidung, weil der
Gemeinderat entscheidet über die Subventionsvergaben. Und wenn der zuständige Kulturstadtrat meint,
Rhizom gehört nicht in das Profil der Förderung der Stadt Graz, bekommt Rhizom schlicht und einfach
kein Geld. Oder die Oper oder Rotor oder sonst irgendwer bekäme dann kein Geld. Kulturstadtrat Dr.
Wolfgang Riedler *8
Kulturstadtrat Dr. Wolfgang Riedler: Die Szene soll nicht Opfer meines Geschmacks werden.*9
*1 Begründung der Entscheidung der Evaluatoren in dem von der Behörde an Rhizom ausgehändigten Evaluierungsbogen
*2 Zitat aus: Ergebnisprotokoll des Kulturamtes zur Sitzung des Grazer Kulturbeirates am 11.11.2008
*3 Evaluierungsbeauftragter der Stadt Graz, Dr. Rüdiger Wischenbart im Interview, Kleine Zeitung, 28.01.2009
*4 Zitat aus: Ergebnisprotokoll des Kulturamtes zur Sitzung des Grazer Kulturbeirates am 11.11.2008
*5 Evaluierungsbeauftragter der Stadt Graz, Rüdiger Wischenbart im Interview, Kleine Zeitung, 28.01.2009
*6 Zitat aus: e-mail vom 18.01.2009 von Dr. Reinhard Braun, Betreff: Stellungnahme des Fachbeirates Medienkünstlerische Praxis
an Rhizom, Dr. Wischenbart, Dr. Mitterbauer (Büro Dr. Riedler)
*7 Zitat aus: e-mail vom 18.01.2009 von Dr. Reinhard Braun, Betreff: Stellungnahme des Fachbeirates Medienkünstlerische Praxis
an Rhizom, Dr. Wischenbart, Dr. Mitterbauer (Büro Dr. Riedler)
*8 Zitat aus dem Audiomitschnitt der Kleine Zeitung-Podiumsdiskussion „ Kuchen oder Krümel“ vom 28.1.2009, Forum Stadtpark
*9 Zitat aus: Ergebnisprotokoll des Kulturamtes zur Sitzung des Grazer Kulturbeirates am 11.11.2008
4. Wozu die Aufregung? Es gibt ja noch andere Förderungsmöglichkeiten?
Stellt andere – stellt 1000 Projekt-Ansuchen!
Willkommen in der Wirklichkeit der Kulturschaffenden!
Was wir letztendlich bekommen haben, ist maximaler Erkenntnisgewinn. Keine Korrektur einer offensichtlich
fragwürdig getroffen Entscheidung trotz offener Distanzierung des Fachbeirates. Keine Neuevaluierung
von RHIZOM, obwohl der Stadt Graz die Entscheidung über eine Neuaufnahme zukommen würde.
Wir haben ein neues – ein Jahresansuchen an die Stadt Graz gestellt, um zumindest die schon längerfristig
geplanten Projekte 2009 durchführen zu können. Ob oder in welcher Form RHIZOM nach 2009 in
Graz tätig sein wird, werden wir bis Ende des Jahres entscheiden. Sicher ist, dass sich RHIZOM keiner
weiteren Evaluierung der Stadt Graz unter den derzeitig vorherrschenden Bedingungen stellen wird.
RHIZOM-Vorschläge
a. Evaluierung der Kulturkonzepte der Stadt Graz
Eigentlich müssten im Eigeninteresse der Stadt die kulturpolitischen Maßnahmen nach 3-5
Jahren einer Evaluierung unterzogen werden, um zu überprüfen, ob ihre Konzepte aufgegangen sind.
Die isolierte Sezierung einzelner Organisationen und Gruppen ändert die Strukturen nicht.
b. Einführung einer INFRASTRUKTURFÖRDERUNG unabhängig von Evaluierungen
Die Infrastrukturen der vor Ort arbeitenden KünstlerInnen müssen längerfristig gesichert sein,
ebenso wie bei den grossen Kulturinstitutionen. Mit dem Ziel zumindest 3-5 jährige Mietverträge
abschließen zu können.
c. Es soll ein Programm zur Disposition gestellt werden,
nicht die Existenz einer Organisation/Struktur.
d. Einführung von Evaluierungsgrenzen
e. Transparente nachvollziehbare Verfahren, Kommunikationsmöglichkeit mit den Fachbeiräten
f. Möglichkeit der Beeinspruchung, wenn begründete Zweifel an der Korrektheit
der Evaluierungsentscheidung bestehen.
g. Wenn Kunst international ist, sollen auch mindestens 50% internationale BeirätInnen
in den diversen Fachbeiräten vertreten sein.
Danke an alle, die mit ihren Statements auf der homepage einen Beitrag zur Beschreibung der
Verhältnisse in der Kulturhauptstadt Graz geliefert haben. Wir hoffen, dass dieser Diskurs positive
Auswirkungen für den zukünftigen Umgang mit den KünstlerInnen in der Stadt haben wird und zu
einer Runderneuerung des Evaluierungsprozesses führt.
Involved
Angelika Thon; Christian Bachler; Mirko Maric; H.J. Schubert; Leo Kreisel-Strausz
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