von hier aus - XBienal (CR) - Dokumentation

Dokumentation des Biennale-Beitrages von Colectivo Veinti3 (NIC/CR), Kollektiv RHIZOM (A) & EAT (HN/COL), Graz

RHIZOM
Palais Attems
Sackstraße 17
8010 Graz
2016

desde aquí – von hier aus ist eine von der Kunst ausgehende Annäherung an das sensible Thema der „Bananenensklaven“ in Lateinamerika. Obwohl es in der Biennale-Ausstellung auch Darstellungen von Bananen gibt, sprechen wir in erster Linie über ein tödliches Gift, das unsere Geschichte und Geschichten über Jahrzehnte hinweg geprägt hat: Nemagon. Nemagon ist ein Pestizid, das erfolgreich gegen jene Schädlinge eingesetzt wurde, von denen die Bananenpflanzen befallen waren. Aufgrund seines hohen Toxizitätswertes wurde es jedoch verboten; man hatte herausgefunden, dass es für die PlantagenarbeiterInnen, die zwangsweise mit dem Gift in Kontakt kamen, lebensbedrohlich war. Ein Obst- und Gemüsekonzern kaufte alle verbliebenen Fässer auf und lagerte sie ein. Nachdem die Korruption den Konzernen ermöglichte, die Regierungen unter ihren Einfluss zu bringen, konnten sie auf diese Weise das Gift auch weiterhin in unseren Ländern einsetzen. Die Hauptschuld an der Vergiftung der Menschen durch Nemagon trägt die Standard Fruit Company (später in DOLE unbenannt) ein Spross des 20. Jahrhunderts…United, Standard und nun DOLE bilden die Vektoren in der Zeit, und wenn wir eine Ausstellung ausrichten wollen, kommen wir nicht umhin, dieser Tatsache ins Auge zu sehen. Also haben wir das Projekt desde aquí – von hier aus so in Angriff genommen, dass wir die Wege von der Vergangenheit in die Gegenwart auf und ab gegangen sind, denn jedes Experiment muss von den Widersprüchen ausgehen, die uns die Realität offenbart. (Textauszüge aus „Das Gift der Kunst“ von Darwin Andino, Colectivo Veinti3, 2016

Eröffnung
Samstag, 26. November 2016
18 Uhr

Dauer
27.11. bis 10.12.2016

Öffnungszeiten
Täglich 16 bis 19 Uhr

Das Gift der Kunst
von Darwin Andino
WIR SEHEN UNS VON DEN KÜSTEN AUS
Vom 30. August bis zum 30. September 2016 fand die „Bienal Centroamericana“ statt, ein Ereignis, das dieses Jahr bereits zum zehnten Mal über die Bühne ging. Man gab ihr die Namen „La Décima“ (Die Zehnte), „La X Bienal“, „Todas las vidas“ (All die Leben). Es ist ein Projekt, das über mangelnde internationale Kontakte und auch sonst über zahllose Mängel verfügt. Dieses Jahr jedoch wurde – neben dem charakteristischen Kernprogramm, das heuer in San José, der Hauptstadt Costa Ricas, stattfand – ein Bogen nach Puerto Limón gespannt, einem an der Atlantikküste gelegenen Ort, der sich aus kuratorischer Sicht als Volltreffer entpuppte.
„La Décima“ bringt, wie ich meine, einen fundamentalen Gedanken ins Spiel: Zentralamerika ist die Summe aller Leben – der am Festland genauso wie der auf den Inseln. Dazwischen liegt eine in der Kolonialgeschichte fußende, unsichtbare Grenze, mit ewigen Piraten, versunkenen Schiffen, Häfen und Dämmen. Wir sind zwei Bruchstücke ein und derselben Geschichte, erzählen einander von den Dingen, indem wir von den Stränden, von den beiden Küsten aus aufs Meer blicken. Über den Strom, den das Salzwasser leitet, stellen die Inseln und das Festland eine Verbindung zueinander her. Hoffentlich bedeutet „La Décima“ auch das: eine neue Erfahrung und Gelegenheit, sich die Ironien einer auf seltsame Weise dislozierten tropischen Region vor Augen zu führen. Hoffentlich bedeutet „La Décima“ überhaupt etwas.

TROPISCHE UND BANANISCHE KUNST
Dass ausgerechnet Limón als Austragungsort der Biennale in den Fokus des Kuratoriums rückte, folgt natürlich dem „Bananenrepubliken“-Konzept. Die Projekte, die für Limón ausgewählt wurden, vereinen den Schaum des Meeres mit der Macht, die hinter den transnationalen Bananenkonzernen steht. Nichts bestätigt das so offensichtlich wie das Gebäude, das als Biennale-Sitz ausgewählt wurde: das UFCo, ein historisches Bauwerk, dem es gelungen ist, mitten im Zentrum der Stadt zu überleben, und das der imperialistischen United Fruit Company gehörte. Sobald man das Gebäude betreten hat, begegnet man überall Anspielungen auf Bananen, darunter allerdings auch einigen allzu naturgetreuen und durchaus entbehrlichen Darstellungen dieser Frucht.
In diesem Kontext stellten wir aus, und ich möchte an dieser Stelle das Projekt vorstellen: Desde aquí – Von hier aus ist eine von der Kunst ausgehende Annäherung an das sensible Thema der „Bananenensklaven“ in Lateinamerika. Obwohl es in dieser kleinen Ausstellung auch Darstellungen von Bananen gibt, sprechen wir in erster Linie über ein tödliches Gift, das unsere Geschichte und Geschichten über Jahrzehnte hinweg geprägt hat: Nemagon.
Nemagon ist ein Pestizid, das erfolgreich gegen jene Schädlinge eingesetzt wurde, von denen die Bananenpflanzen befallen waren. Aufgrund seines hohen Toxizitätswertes wurde es jedoch verboten; man hatte herausgefunden, dass es für die PlantagenarbeiterInnen, die zwangsweise mit dem Gift in Kontakt kamen, lebensbedrohlich war. Diese Geschichte fand mit dem Verbot ein Ende, doch in Wahrheit hat sie damit erst richtig begonnen: ein Obst- und Gemüsekonzern kaufte alle Fässer auf und lagerte sie ein. Nachdem die Korruption es den Konzernen ermöglichte, die Regierungen unter ihren Einfluss zu bringen, konnten sie auf diese Weise das Gift auch weiterhin in unseren Ländern einsetzen.

DAS HAUS DES BÖSEN
Die Hauptschuld an der Vergiftung der Menschen durch Nemagon trägt die Standard Fruit Company, ein Spross des 20. Jahrhunderts, der sich nach und nach in ein Monster verwandelte, das imstande war, Machthaber nach Belieben auszutauschen. Unser Kontinent wurde Teil seines Inventars. Es wurde dermaßen groß, dass es sogar die United Fruit Company schluckte – seine Vorläuferin, die für sich genommen schon eine einzige Verirrung war. Es ist nur logisch, dass man an diese Dinge denkt, wenn man vorhat, in denselben Gängen, die einst von den Schritten und dem Atem dieser seelenlosen Gestalten erfüllt waren, Kunst auszustellen.
Auf dem Weg nach Limón kann es durchaus vorkommen, dass man den Containern begegnet, die sich vielerorts stapeln und an denen das berühmte Chiquita-Logo oder die pompöse DOLE-Aufschrift prangen. Über all die Zeiten (und nun auch all die Leben) hinweg ist die Spirale die gleiche geblieben. United, Standard und nun DOLE bilden die Vektoren in der Zeit, und wenn wir eine Ausstellung ausrichten wollen, kommen wir nicht umhin, dieser Tatsache ins Auge zu sehen. Also haben wir das Projekt Desde aquí – Von hier aus so in Angriff genommen, dass wir die Wege von der Vergangenheit in die Gegenwart auf und ab gegangen sind, denn jedes Experiment muss von den Widersprüchen ausgehen, die uns die Realität offenbart.

DESDE AQUÍ – VON HIER AUS
Die Künstlerin Consuelo Mora vom Colectivo Veinti3 (Nicaragua) und das Kollektiv Rhizom (Österreich) haben eine künstlerische Übereinkunft getroffen. Die Frage war: Wie sollte man eine vitale Thematik finden und gleichzeitig zwei dermaßen getrennte Kontexte wie jene von Österreich und Nicaragua auf einen gemeinsamen Nenner bringen? Auch wenn sich einige der KünstlerInnen von Rhizom noch an das Nicaragua zur Zeit der Revolution erinnern konnten (und sogar physisch anwesend waren, als das kleine Land ein Stück Geschichte schrieb), war diese Verbindung im Nicaragua von heute, einem kleinem Land, das seine Glanztaten bereits vergessen hat, nicht ausreichend.
Ich erinnere mich an das Jahr 2010. Das Thema Nemagon war weltweit in Vergessenheit geraten, doch in Nicaragua wurde weiter darüber diskutiert. Auf der einen Seite stand der organisierte Kampf der Betroffenen, – sowohl in der Hauptstadt Managua als auch in den Gemeinden, in denen sich die Bananenplantagen befanden –, auf der anderen hingegen die Tatsache, dass die Standard Fruit Company ein Kapitel dieses Dramas zu Ende schrieb, indem sie ihren Namen änderte, doch die Südfrucht-Exporte nach Europa und in die Welt gingen munter weiter – nun unter dem neuen Namen DOLE.
Den Ausgangspunkt des Projekts Desde aquí – Von hier aus bildeten zwei unterschiedliche Perspektiven: die der Nemagon-Opfer in Nicaragua und die der KonsumentInnen der DOLE-Produkte in Österreich, die sie kaufen und verzehren, ohne die unbequemen Details zu kennen, in die das saftige Obst gehüllt ist.
Zwischen 2010 und 2014 gab es im Rahmen des Projekts, das auf diversen Ebenen ablief, Aktivitäten in beiden Ländern. Seit damals haben wir einige dokumentarische Ausstellungen verwirklicht und waren dadurch jedes Mal aufs Neue dazu verpflichtet, die Fülle an vorhandenem Dokumentationsmaterial aufzuarbeiten und zu interpretieren. Der 10. Zentralamerikanischen Biennale ist es gelungen, einen idealen Rahmen für eine erneute Auseinandersetzung mit diesen Ideen zu schaffen. Die Umsetzung von Desde aquí – Von hier aus ist der Teilnahme vieler Menschen zu verdanken: von Österreich und Nicaragua eingeladenen KünstlerInnen ebenso wie diversen Kooperationen in allen Gemeinden, in denen die Recherchen und Aktivitäten realisiert wurden. Das Wichtigste in diesen Tagen war: die künstlerische Partizipation der Menschen in den Gemeinden, die bis zu diesem Moment das Thema nur aus dem Blickwinkel des traditionellen Aktivismus betrachtet hatten.
Leider haben wir es nicht geschafft, uns für die Ausstellung auf der diesjährigen Biennale in Limón geschlossen zu versammeln, wie wir es eigentlich von Anfang an vorhatten, doch die gemeinsame Erfahrung hat den gegenseitigen Kontakt wieder intensiviert. Die KünstlerInnen vom Kollektiv Rhizom, die es nicht geschafft haben, den Atlantik zu überqueren, haben uns gefehlt. Auch war es leider nicht möglich, die Menschen aus Chinandega einzuladen. Immerhin kam es zu einer kurzen Begegnung zwischen dem Colectivo Veinti3 und den beiden in Kolumbien lebenden honduranischen KünstlerInnen Lucy Argueta und Léster Rodríguez, die am Projekt teilgenommen haben. Nicht zuletzt möchten wir auch dem Bundeskanzleramt der Republik Österreich für die Unterstützung dieses Projekts unseren Dank aussprechen.

Involved

Text Only Names

Cooperated with

Rhizom – Veinti3

Supported by

Mit Unterstützung des Kulturamtes der Stadt Graz, der Kulturabteilung des Landes Steiermark und des Bundeskanzleramts – Sektion 2 Kunst

Serie

Foto: Biennale-Ausstellungsort in Puerto Limón/Costa Rica: das UFCo, ein historisches Bauwerk im Zentrum
der Stadt, das der United Fruit Company gehörte. Foto: Colectivo Veinti3